Wer am Dienstag-Abend auf der Landstraße 383 in Richtung Gönningen unterwegs war, dem bot sich auf Höhe des Wertstoffhofes Schinderteich ein schauriges Schauspiel: Durch den Wald blitzten zahlreiche Blaulichter hervor - dabei handelte es sich aber nur um eine Übung. Die Abteilung Stadtmitte der Freiwilligen Feuerwehr Reutlingen hatte auf der Zufahrt zum Wertstoffhof einen Verkehrsunfall mit sechs Verletzten simuliert und abgearbeitet.
Den Einsatzkräften bot sich am Schinderteich ein realistisches Szenario: Auf der "Landstraße" war es zu einem Frontalzusammenstoß zwischen einem Mercedes-Geländewagen und einem Ford Fiesta gekommen. Während der Geländewagen samt zweier verletzter Insassen im Straßengraben zum stehen kam schleuderte der Ford nach der Kollision über die Straße und traf ein mit zwei Personen besetztes Fahrrad und begrub dieses unter sich. Beide Fahrzeuge waren zuvor von den Technischen Betriebsdiensten der Stadt Reutlingen mittels eines Baggers kräftig ramponiert worden, sodass die Unfallfahrzeuge eine realistische Übung erlaubten - schließlich ist das Aufschneiden der Wracks mit hydraulischem Rettungsgerät bei einer deformierten Karosserie deutlich schwieriger als bei einem PKW im guten Zustand. "Die Betriebsdienste haben uns mit großer Begeisterung unterstützt", erzählte Übungsorganisator Christian Wittel schmunzelnd. Zudem war die Einsatzstelle mit kleineren Fahrzeugtrümmern übersät, was die Aufstellung der Feuerwehrfahrzeuge erschwerte und von den Einsatzkräften zusätzliche Konzentration verlangte - vor allem zu Beginn des Einsatzes musste man aufpassen, wohin man hintrat und Einsatzgerät abstellte.
Patientenorientierte technische Rettung
Mit zahlreichen Fahrzeugen und rund 50 Einsatzkräften ging die Freiwillige Feuerwehr Stadtmitte den Übungseinsatz an, der zugleich für zahlreiche Feuerwehrleute den Abschluss des Lehrgangs "Patientenorientierte technische Rettung" darstellte. In den vergangenen Monaten waren die freiwilligen Helfer dabei nach den neusten Erkenntnissen zur Rettung von Unfallopfern geschult worden. Entsprechend handelten die Feuerwehrleute am Dienstag-Abend überaus konzentriert und gingen entschlossen zu Werke. Im Mittelpunkt stand dabei die Betreuung und schonende Rettung der Unfallopfer.
Nachdem zunächst der unter dem Ford Fiesta begrabenen Fahrradfahrer durch das Anheben des Fahrzeugs gerettet und der unter Schock stehende zweite Radler gefunden und betreut wurde und der im Graben zum liegen gekommene Geländewagen unterbaut und gesichert worden war, stiegen zwei Feuerwehrleute in die beiden PKWs ein, um sich dort um die eingeklemmten Unfallopfer zu kümmern: Die sogenannten "Inneren Retter" haben dabei mehrere Aufgaben: Sie übernehmen die Erstversorgung der Patienten, unterstützen den Rettungsdienst und informieren zugleich die um die Fahrzeuge herum arbeitenden Feuerwehrleute über den Zustand der Unfallopfer und die nötigen Maßnahmen zu deren Befreiung - sie haben damit eine entscheidende Funktion und müssen sich ihrer Aufgabe entsprechend sicher sein. Sie erklären zugleich den Unfallopfern soweit möglich, was um sie herum geschieht und zu deren Rettung übernommen wird. Damit vermitteln sie Sicherheit und helfen den Unfallopfern damit psychologisch enorm.
Auf der engen Zufahrt zur Deponie Schinderteich zeigte sich schnell, wie komplex eine solche Unfallrettung abläuft - nur mit Mühe konnte die Feuerwehr alle Fahrzeuge so aufstellen, dass der Rettungsdienst mit Rettungswagen und Notarzt zur Einsatzstelle hätte durchfahren können - mitunter mussten die Besatzungen der Hilfeleistungs-Löschgruppenfahrzeuge dabei etwas weitere Wege in Kauf nehmen. Zugleich zeigte sich, wie personalintensiv ein solcher Einsatz ist: Schließlich musste nicht nur direkt an den Unfallfahrzeugen gearbeitet werden, auch der Brandschutz war sicherzustellen und die Unfallstelle abzusichern. Besonders wichtig war auch der Aufbau von entsprechendem Beleuchtungsgerät um die Einsatzstelle möglichst hell auszuleuchten. Hier kam auch der neue mobile Lichtmachst des in diesem Jahr eingeweihten neuen Löschgruppenfahrzeugs LF 10 37/42 zum Einsatz.
Gleichzeitig war das Ziel, an den Unfallfahrzeugen kein Chaos entstehen zu lassen: Direkt an den Wagen sollte nur so viel Personal arbeiten, wie unbedingt notwendig - dies erleichtert den Führungskräften aus der Distanz die Kontrolle und Übersicht zu bewahren und reduziert das Risiko für die Feuerwehrleute selbst, außerdem muss im Ernstfall auch Platz für die Einsatzkräfte des Rettungsdienstes bleiben.
Stabilität des Geländewagens erweist sich als Herausforderung
Während die Rettung der beiden Opfer aus dem Ford Fiesta in kurzer Zeit gelang, erwies sich der Mercedes-Geländewagen dank seiner stabileren Konstruktion als größere Herausforderung. "Das Auto wehrt sich halt", formulierte es der Abteilungskommandant Christoph Haas, der an diesem Einsatzabschnitt die Führung übernommen hatte. Nach 46 Minuten musste eines der vermeintlichen Unfallopfer realistisch geschminkt weiterhin in dem Wrack des Geländewagens ausharren - erst als das Dach des Geländewagens komplett entfernt war gelang den Einsatzkräften der endgültige Durchbruch.
Am Ende überwog bei allen Teilnehmern die Gewissheit, dass die geschulten Abläufe im Ernstfall routiniert und sicher angegangen werden würden - und dass die "Inneren Retter" ihre Aufgaben souverän und sicher übernommen hatten. Die Abteilung Stadtmitte der Freiwilligen Feuerwehr ist also für den Ernstfall gerüstet, wie auch Ausbildungsleiter Peter Werner von der Berufsfeuerwehr den Kameraden bescheinigte.
Unwahrscheinlich ist es indes nicht, dass die Abteilung Stadtmitte es mit Verkehrsunfällen zu tun bekommt: Rückt die Berufsfeuerwehr mit dem Rüstzug bestehend aus dem Einsatzleitwagen, dem Vorausrüstwagen 30/50 und dem Hilfeleistungs-Löschgruppenfahrzeug HLF 30/46 zu einem Verkehrsunfall mit Rettung aus, rückt die Freiwillige Feuerwehr Stadtmitte stets im Stadtgebiet mit einem weiteren HLF nach. Außerdem stellt die Abteilung die Wachbesetzung auf der Feuerwache, wenn die Berufsfeuerwehr ausrückt - kommt es nun zu einem Verkehrsunfall, sind die Kräfte der Stadtmitte dann zumeist als erste an der Einsatzstelle. Was am Dienstag geübt wurde, muss dann in der Realität mindestens genau so gut klappen.
Am Ende der Übung erhielten die Teilnehmer des Lehrgangs Patientenorientierte technische Rettung vom Leiter des Sachgebiets Ausbildung Hartmut Möck, der die Übung beobachtet hatte, die Urkunden, die ihnen die erfolgreiche Teilnahme attestierten.
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