Auswärtige Feuerwehren entlassen

Schnelle, unbürokratische, flexible Hilfen – sie sind nach dem Hagelsturm vom vergangenen Sonntag in höchstem Maße gefragt. Und sie werden gewährt. 

 

 

 

Unter anderem von der SV Sparkassenversicherung, die in der Region einen 70-prozentigen Marktanteil bei den Gebäudeversicherungen hält und mithin als besonders betroffen gilt. In der Reutlinger KSK-Hauptstelle hat die SV deshalb ein »Mobiles Schadenbüro« eingerichtet.

VON HEIKE KRÜGER UND KAYA EGENBERGER

Entlassen wurden gestern in der Feuerwache die auswärtigen Helfer, der Einsatz offiziell beendet. FOTO: NIETHAMMER
Entlassen wurden gestern in der Feuerwache die auswärtigen Helfer, der Einsatz offiziell beendet. FOTO: Markus Niethammer

Es war ein nachdenklicher, sichtlich bewegter Landrat Thomas Reumann, der dort das Wort ergriff – und Zahlen mitgebracht hatte, die für sich sprechen. Danach waren binnen der zurückliegenden fünf Tage über 5 000 Einsatzkräfte in Stadt und Landkreis vor Ort. Davon waren mehr als 4 900 Ehrenamtliche von außerhalb angerückt, um Keller beziehungsweise Tiefgaragen leer zu pumpen oder zerdepperte Dächer notdürftig mit Planen abzudichten. Sie haben »Fantastisches« geleistet, findet Reumann. »Diesen Menschen gilt unser Dank, unsere Anerkennung und unser Respekt. Sie haben Tatkraft und Mut bewiesen.« Gleichwohl gab es in den am stärksten betroffenen Gemeinden wie Rommelsbach, Ohmenhausen, Oferdingen, Degerschlacht und Mittelstadt bis gestern noch 153 offene Einsatzstellen – was das Ausmaß der Zerstörung zumindest erahnen lässt.

Zweitgrößtes Hagelereignis

Von der enormen Verwüstung entfesselter Naturgewalten künden auch knallharte Fakten: Knapp 600 Millionen Euro Schaden. Nach Worten von Dr. Klaus Zehner, Vorstand des Segments »Schaden/Unfall«, rechnet sein Unternehmen mit insgesamt 60 000 Gebäudeschäden und einem finanziellen Aufwand von rund 260 Millionen Euro. Hinzu kommen 3 500 demolierte Autos, die mit geschätzten 13 Millionen Euro zu Buche schlagen dürften. Die WGV-Versicherung geht zusätzlich von 100 Millionen Euro Kosten aus, die sich in 10 000 Gebäudeschäden und 30 000 demolierten Autos niederschlagen, wie Vorstandsmitglied Achim Schweizer berichtet. Außerdem rechnet die Allianz mit 200, die Württembergische Versicherung AG mit 30 Millionen Euro Schaden. »Wir haben es hier mit dem zweitgrößten Hagelereignis in Deutschland zu tun«, so Klaus Zehner – gleich nach dem verheerenden Unwetter anno 1984 in München.

Wohlhabende Region getroffen

Kein Wunder, dass bei den Versicherungen darob die Telefone unablässig klingeln. Zehner spricht von einer »neuen Dimension einer Naturkatastrophe«, von einer »hohen Kundenfrequenz auch in den Filialen« und davon, dass jetzt der Ansturm nach dem Hagelsturm eingesetzt habe. Allein im »Mobilen Schadenbüro« gingen stündlich bis zu 700 Meldungen ein. 3 000 Besichtigungstermine (Gutachter) seien zwischenzeitlich »angestoßen« und die Dachdeckerinnung mobilgemacht worden. 80 ihrer Mitgliedsunternehmen seien aktuell in der Region präsent, für Montag rechnet man sogar mit einer Verdopplung – zumal fachkundige Verstärkung aus dem Saarland, aus Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen ihr Kommen angekündigt hat, auf dass sämtliche leckgeschlagenen Häuser schnellstmöglich abgedichtet werden. Apropos: Hat’s Schindeln und Pfannen schwer getroffen, sind Häuslesbesitzer – »das versteht sich von selbst« – grundsätzlich befugt, auch ohne Rücksprache mit der Versicherung Sofortmaßnahmen einzuleiten; weil nur so Folgeschäden an Hab und Gut vermieden werden können, die die Schadenssummen zusätzlich in die Höhe treiben würden. Nach Angaben der SV hat der Hagelsturm vom Sonntag rein finanziell betrachtet nicht nur wegen der Größe und Dichte der Eisgeschosse voll ins Kontor geschlagen, sondern auch deshalb, »weil eine vergleichsweise wohlhabende und eng besiedelte Region getroffen wurde, in der entsprechende Werte konzentriert sind«. Wobei materielle Verluste das eine, Menschenleben das andere, das wirklich Wichtige sind. An sie erinnert Landrat Reumann: Es sei »ein großes Glück«, betont er, dass Reutlingen und die Region keine Schwerverletzten zu beklagen haben.

Rückkehr zum Normalbetrieb

Zwar gab es unter den Feuerwehrleuten vier Leichtverletzte, angesichts der vielen und auch gefährlichen Einsätze und der großen Zahl der Kräfte sei das aber ein relativ niedriger Wert, sagte Stadtbranddirektor Harald Herrmann gestern bei der Abschluss-Pressekonferenz im Rathaus. Dabei verkündeten er und Bürgermeister Robert Hahn das offizielle Ende des Feuerwehreinsatzes. Es bestehe derzeit keine Gefahr mehr in Reutlingen, deshalb »ist es nicht zu rechtfertigen, dass Leute weiterhin landesweit aus dem Urlaub oder von ihren Betrieben abgezogen werden«, so Herrmann. Für die verbleibenden Schäden sei die Feuerwehr oder Technisches Hilfswerk (THW) nun nicht mehr zuständig, da müssen die Handwerker ran. »Insgesamt ist der Einsatz gut verlaufen«, sagte der Feuerwehrkommandant und wies noch einmal darauf hin, wie plötzlich sich diese Gewitterzelle gebildet habe: »Da hätten auch Hagelflieger nichts gebracht.« Im Hinblick auf die erneut hohen Temperaturen sagte Herrmann, dass es momentan keine Unwetterwarnung gebe. Momentan machen den Männern in Blau noch drei Landwirtschaftsbetriebe zu schaffen, bei denen die Heustöcke zu heiß werden. Ansonsten kehrt heute wieder Normalbetrieb ein. Gestern wurden die auswärtigen Helfer in der Feuerwache verabschiedet. Die Drehleitern und anderen Fahrzeuge reihten sich dort auf. »Sie sind von weit hergekommen, um uns in Stadt und Landkreis zu unterstützen«, sagte Bürgermeister Hahn. »Das ist ein Zeichen der Solidarität, das wir nicht vergessen werden.« Feuerwehrleute THW-Vertreter aus rund 40 Orten in Baden-Württemberg hatten sich an dem Einsatz beteiligt. Erschöpft rückten sie gestern ab. (GEA)